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Von den Glücklichen, den Geduldigen und den Ungeduldigen

«Ein Erzieher der Geduld haben muss, ist ein armer Teufel» diesen Satz von Pestalozzi hörte ich während meiner Ausbildung zur Pädagogin, kaum 18-jährig, zum ersten Mal. Er traf mich damals mitten ins Herz. Einerseits wusste ich, dass ich vom Naturell her kein wirklich geduldiger Mensch bin, andererseits war ich aber auch stolz, eben oft auch ganz geduldig sein zu können – wenn ich wollte, wohl verstanden. «Wenn ihr, angehende Pädagoginnen denkt, ihr seid jetzt, in welcher Situation mit Kindern auch immer, geduldig, oder wollt es zumindest sein, habt ihr schon verloren. Denn allein der Gedanke, dass ihr geduldig sein wollt, zeigt bereits auf, dass es euch Mühe bereitet, geduldig zu sein – denn geduldig sein ist anstrengend. Geduld ist anstrengend…». Wie recht sie hatte, unsere Pädagogikprofessorin. Dass mir auch in den folgenden 40- oder noch mehr Jahren, dieser Satz immer mal wieder ins Gedächtnis rutschte, sagt wohl so einiges über meine Geduld oder eben Ungeduld aus. Wenn ich ganz ehrlich bin, ich hasse es beispielsweise, zu warten, nicht immer, aber oft. Doch es gibt eine Erfahrung, welche ich vor über 25 Jahren machen «durfte» die mich gelehrt hat, mit Warten anders umzugehen, nämlich, beim Warten nicht an Geduld-, denn geduldig sein kostet bereits eine Menge Energie, sondern an die Chance des «Wartens» zu denken. Damals, sass ich mit Skiern an den Füssen, bei traumhaftem Wetter, auf dem Sessel eines Liftes, viele Meter über dem glitzernden Pulverschnee, und wartete, wartete, wartete. Der Lift ist stehen geblieben. Mein 1. Gedanke: «Fährt sicher gleich weiter…» Mein 2. Gedanke: «Jetzt müsste er dann weiterfahren…» Mein 3.Gedanke: «Wann fährt der endlich weiter?…». Mein 4. Gedanke: «Geduld… Geduld…». Mein 5. Gedanke: «Wie war das doch mit Geduld und dem armen Teufel?» Mein 6. Gedanke: «Nutze die Zeit des Wartens! Geniesse!» Und das tat ich dann tatsächlich. Denn egal, ob geduldig oder ungeduldig, der Lift lief deswegen kein bisschen vorher. Er lief dann wieder, wenn er eben wieder lief. Handy hatte ich damals keines zu Unterhaltung, andere Mitfahrer ebenfalls nicht, ich war ganz allein mit meinen Gedanken und Gefühlen und begann zu geniessen, etwas Besseres hatte ich nicht zu tun. 

Ich genoss das herrliche Wetter, und ich genoss es, hier in den Bergen zu sein zu dürfen. Plötzlich breitete sich in mir ein Gefühl der Dankbarkeit für dieses Privileg aus. Unvermittelt ging es mit den Gefühlen der Dankbarkeit für alles mögliche in meinem Leben weiter; von einem Thema zum nächsten. Es gab so viele Gründe dankbar zu sein, alle aufzuzählen würde den Rahmen dieses Blogs sprengen. Es ging mir plötzlich beim Warten richtig gut, die wärmende Sonne im Gesicht und wärmende Gedanken im Herzen. 

Dann plötzlich fuhr der Lift weiter. Schade, ich war grad so schön mitten drin im Geniessen dieser ungeplanten Auszeit. 

Sicher hat mich diese Erfahrung nicht zu einem geduldigeren Menschen gemacht, doch es hat mich gelehrt, anders mit Wartezeiten umzugehen. Zumindest ab und zu. Selbstverständlich weiss ich trotzdem, wie nervenaufreibend es sein kann, wenn man geduldig sein sollte, warten muss. Warten auf die Bedienung, das Bier, das Essen, den Zug, den Schnee oder die Sonne. Aus Erfahrung weiss ich, dass es einfacher ist, Wartezeiten auszuhalten, wenn man dabei ein bisschen Unterhaltung hat, daher gibt es auf unseren Tischen im Heimeli immer die eine oder andere Kurzgeschichte. Sie soll den Unterhaltungswert fördern und dem Warten einen positiven Anstrich verleihen. 

Natürlich liegt es uns fern, unsere Gäste mit langen Wartezeiten zu verärgern. Im Heimeli sind nämlich alle bestrebt, Gäste glücklich zu machen und nicht warten zu lassen. Aber es ist so: Manchmal geht alles ein bisschen schneller, manchmal dauert alles ein bisschen länger. Mal kommen die Gäste schön gestaffelt, mal alle gleichzeitig. Mal dauern die Reinigungsarbeiten der Zimmer oder Toiletten ein bisschen länger, da sie vielleicht schmutziger sind, als üblich, ein Andermal muss ein bisschen länger auf Brot gewartet werden, weil dieses noch im Ofen steckt. Die Gründe, weshalb es bei uns zu Wartezeiten kommen kann, sind vielfältig. Wenn eine Familie mit 4 Kindern anreist und jedes Kind einen besonderen Wunsch hat, dann soll doch dieser Wunsch nach Möglichkeit auch erfüllt werden. Selbst dann, wenn die Gäste am Nebentisch ebenfalls bereits warten. Dafür bekommt dann ihr Hund, der diese Gäste begleitet, gerne schon mal seine eigene Schüssel Wasser, der Wanderer der wissen möchte, welches der richtige Weg nach Davos ist eine Auskunft, der gestürzte Biker ein Pflaster auf seine Wunde und mit den Nachbarn Yvette und Fritz, die uns die frischen Eier ins Heimeli bringen, werden ebenfalls ein paar Worte gewechselt. 

Vielleicht könnten unsere Mitarbeiter sogar ein bisschen schneller rennen, damit alles ein bisschen schneller ginge – aber ist das unser Ziel? Nein. Schliesslich sind wir keine «Schnellfressbude», sondern ein Genussort. Wir wünschen uns nicht rennende, gestresste Mitarbeitende, sondern Mitarbeitende die mit Herz statt Gehetz ihrer Arbeit nachgehen. Denn wie sollen unsere Gäste entschleunigen und geniessen, wenn um sie herum gerannt und gehetzt wird? Unser Motto «ankommen – geniessen – verweilen – sein» soll den Heimelibesuch zu etwas Besonderem machen.

Und – ach ja, wenn wir schon beim Thema Geduld sind – es gibt Momente, da bewundere ich unsere Mitarbeitenden um ihre Geduld. Denn manchmal, ganz ehrlich, brauchen auch sie, meines Erachtens, ganz viel Geduld mit manchmal ganz ungeduldigen Gästen. Und ich frage mich in diesem Augenblick, wie es unseren Mitarbeitenden gelingen könnte, das energieraubende Gefühl der Geduld, in eine positive Emotion umzuwandeln, bevor der Geduldsfaden reissen könnte. Doch zum Glück sind die meisten Heimeligäste eben doch geduldige Gäste, auch wenn es mal ein bisschen länger dauert, und dafür möchte ich mich an dieser Stelle bedanken; auch dafür, dass sie eher mal eine Kurzgeschichte lesen oder die schöne Aussicht geniessen, als gleich mit den Fingern zu schnippen, wenn um sie herum nicht gerannt wird. Und auch unseren herzlichen, fleissigen, fürsorglichen Mitarbeitenden sage ich von Herzen Danke für die Geduld, die sie manchmal brauchen – ein anderes Wort dazu, als Geduld, fällt mir leider im Moment nicht ein. 

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