Wenn das Gästeglück nicht in unseren Händen liegt
… dann geht es mir nicht mehr ganz so gut. Nachdem wir gestern am späten Abend vom Heimeli nach Langwies zurückfuhren und feststellen mussten, dass wesentlich mehr Schnee gefallen ist und noch fällt, als ursprünglich angesagt, bekam ich nicht nur kalte Füsse, weil es kalt war, sondern auch, aus Sorge darüber, dass das Lawinenbulletin vom SLF in Davos plötzlich auf die Gefahrenstufe 4 schalten könnte, weil die in Davos bestimmt ebenfalls feststellen würden, dass die Niederschläge weit über den prognostizierten liegen. Es sind einige Punkte, die es jeweils zu beachten gilt, wenn es um das Schliessen unseres Weges geht. Wenn innerhalb von 16 Stunden mehr als 50 cm Neuschnee fallen (oder 60cm innert 24 Std.), wenn das SLV auf Gefahrenstufe 4 schaltet, wenn es ununterbrochen weiterschneit, wenn auch die Südhänge von starken Schneefällen betroffen sind, und wenn die Sicht so schlecht ist, dass wir die Hänge oberhalb Sapün nicht beurteilen können. Dann ist es soweit, dann fangen meine Sorgen an. Um 5 Uhr früh verrät mir ein Blick aus dem Fenster, dass es noch weit dramatischer ist als am Vorabend noch befürchtet, und es schneit und schneit und schneit weiter.
Ich beginne mich auf Schlimmste vorzubereiten. Ich suche die Kontakte aller Gäste, welche am heutigen Tag ihren Besuch angesagt haben heraus, bereite schon mal ein paar Zeilen vor, für den Fall, dass wir die Strasse schliessen müssen und versuche unseren Lawinenexperten in Davos zu kontaktieren, allerdings ist dieser im Moment nicht erreichbar, da er ebenfalls draussen und beinahe im Schnee versunken ist, denn schliesslich betrifft Schneeräumen alle, auch die ennet am Strelapass. Aber was solls… Ich studiere Satellitenbilder, Wind, Wetterradar, starre aus dem Fenster und warte auf das Pling auf dem Handy, welches meine Befürchtung bestätigen wird. Und da kommt es schon. Das SLF gibt die Gefahrenstufe 4 für Langwies heraus.
Ich informiere alle möglichen Plattformen und über alle möglichen Kanäle, dass wir den Weg leider schliessen müssen. Nicht dass bei diesen Strassenverhältnissen extra jemand nach Langwies hochfährt, um dann festzustellen, dass der Weg gleich schon beim Start Richtung Heimeli endet. Die Züge sind zwischenzeitlich nämlich ebenfalls ausgefallen und auf der Strasse herrscht das blanke Chaos.
Es folgt der telefonische Austausch mit Joos, unserem Pistenprofi. Er ist bereits auf dem Weg, um sich einerseits vor Ort ein Bild zu machen, andererseits, weil er die Piste bis Egga sowieso machen wolle, da noch Rinder im Sapün in den Ställen seien, welche versorgt werden müssten. Natürlich wird Joos sein Bestes geben, darauf können wir uns zum Glück verlassen. Aber bevor er mit dem Pistenfahrzeug Richtung Heimeli fahren kann, gilt es, den Weg erst mal von umgestürzten Bäumen zu befreien.
Zwischenzeitlich meldet sich Hanspeter, unser Lawinenexperte und wir tun, was wir eben in einer solchen Situation tun müssen, wir beraten. Wir analysieren und diskutieren und wir sind einer Meinung, ohne Rückmeldung von Joos kann noch keine Entscheidung gefällt werden.
Wir sind in Kontakt mit unserem Personal, schliesslich sind sie es, die oben sind und die unschöne Aufgabe haben, unseren Gästen mitzuteilen, dass im Moment kein Runterkommen möglich ist. Immer wieder läutet das Telefon: «Können wir anreisen?» «Wann können wir anreisen?» «Wann wissen wir ob wir anreisen können?» Wie gerne würde ich sagen, kommt doch einfach hoch zu uns, es wird schon gut gehen, sicher kommt nicht ausgerechnet bei euch eine Lawine. Endlich meldet sich Joos mit seinem Bericht. Es schneie nach wie vor intensiv, und auf dem Weg Richtung Heimeli sei eine Lawine niedergegangen, auf einer Breite von rund 80m und bis über die Strasse. Also gut, versuche ich mich zu beruhigen, wenigstens war es kein Fehler, die Strasse zu sperren.
Alles was ich hier jetzt niedergeschrieben habe, könnte ich nun ein paarmal kopieren, und immer wieder unten einfügen. Denn die Prozedere wiederholen sich. Telefonanrufe, wieder beraten, wieder auf Joos Rückmeldungen warten usw. Zum Glück ist das Pistenfahrzeug so gross, dass ich keine Angst haben muss, dass es so schnell von einer Lawine weggespült werden könnte, denn soviel Schnee hat es nun doch noch nicht gegeben – und wäre es so viel Schnee gewesen, wäre uns ja auch die Entscheidung leichter gefallen, denn dann wäre es wenigstens eindeutig gewesen.
Dass unsere Gäste, welche nicht ins Tal zurückkehren können, frustriert sein könnten, würde mich nicht wundern. Aber möchte ich Gäste bei guter Laune halten oder lieber dafür sorgen, dass sie letzten Endes alle wieder heil nach Hause kommen? Ich vertraue darauf, dass sie, die Gäste meine ich, bereit sind, das Beste aus ihrer Lage zu machen und die Fähigkeit besitzen auch die schönen Seiten einer solchen Situation zu entdecken. Schön wäre es, sie könnten das Schicksal auch als Chance sehen, einfach mal runterzufahren, nichts tun, das Heimeli geniessen, vielleicht ein Spiel spielen, lesen oder gar singen – grad so, wie es in den vergangenen 100 Wintern, in welchen das Heimeli bereits als Gasthaus besteht, wohl schon des Öftern vorgekommen ist. Wie gerne wäre ich jetzt oben im Heimeli um gemeinsam mit den Gästen so richtig etwas Gutes aus der aktuellen Situation zu machen. Aber nein, diese Chance habe ich verpasst. Leider.
Als ich erfahre, dass zwei Skitourengänger unsere «Gesperrttafel» einfach so mir nichts dir nichts missachteten und dem Wetter zum Trotz ins Heimeli hochgewandert sind, musste ich schon ein paarmal leer schlucken. Und es würde mich nicht wundern, wenn uns die eingeschlossenen Gäste, bei uns droben im Sapün, belehren wurden mit Sätzen wie: «Na, seht ihr jetzt – offensichtlich geht es doch – die sind schliesslich auch nicht in die Lawine gekommen!». Bleibt zu hoffen, dass die beiden auch die Abfahrt ins Tal zurück gut überstanden haben, schliesslich gab Joos im Laufe des Nachmittags durch, es sei noch einmal eine Lawine bis über die Strasse runter gegangen. Zwar nur ca. 40cm hoch, also für sein Pistenfahrzeug kein Problem, aber für einen Wanderer oder Skifahrer reichen 40cm allemal um ihn umzuwerfen und unter sich zu begraben. Wir sind und bleiben uns einig, es war richtig, unserem Grundsatz treu zu bleiben, die Strasse nicht zu öffnen, so lange wir die Hänge nicht beurteilen können und Gefahrenstufe 4 gilt.
Um 17 Uhr dann, kommt die Entwarnung – das SLF beurteilt die Situation neu und wir sind wieder auf 3. Also werden wir morgen früh, sobald der Tag anbricht, die Strasse wieder öffnen. Wir hoffen auf ganz viele Gäste, die uns in dieser Wintermärchenwelt besuchen werden. Denn diese ist uns morgen mit Sicherheit garantiert.
An dieser Stelle möchte ich mich bei unseren Gästen für ihre Geduld bedanken, bei unserem Personal für den tollen Einsatz vor Ort, bei Joos für seine ausgesprochene Professionalität beim Präparieren der Piste und natürlich auch bei Hanspeter, unserem Lawinenexperten, für die mehr als nur professionelle und seriöse Beratung und dafür, dass wir ihn stets kontaktieren dürfen.
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