Fräulein? Herrlein? He Sie? oder was denn nun?
Als ich letzten Sommer im Heimeli von sehr netten Gästen mit «Fräulein» angesprochen wurde – es ging darum, ob es mir möglich wäre, ihnen beim Brunnen vor dem Haus etwas zu servieren, musste ich schmunzeln. «Fräulein», und das obwohl ich die 60 überschritten habe. «Fräulein» brachte ich früher in Verbindung mit einer jungen Frau. Wir kannten es nicht anders, als dass eine Frau, die noch nicht verheiratet war, mit «Fräulein» angesprochen wurde. Und da diese Frauen meist noch jung waren, brachten wir junge Frau eben in Verbindung mit «Fräulein». Für mich war das in Ordnung so. Dabei bin ich in einer Familie aufgewachsen – oder zumindest mit einer Mutter, die dieses «Fräulein» alles andere als cool fand. «So ein Quatsch», hat meine Mutter jeweils interveniert, «es heisst schliesslich auch nicht «Herrlein». Mein Vater sah das etwas lockerer. Für ihn war nur wichtig, dass es für das Gegenüber, oder eben für das «Fräulein» passte. Aber meine Grossmutter, oder genauer Stiefgrossmutter, sah das ganz anders. Sie war stolz darauf, ein «Fräulein» zu sein. Nicht das «Fräulein» von vor der Heirat, nein, das «Fräulein» im Restaurant, also die Bedienung. Zeitlebens hat sie als Serviceangestellte, als Serviertochter, so hiess es damals, gearbeitet. Kellnerin, wollte sie das auf keinen Fall nennen, nein, sie war ein «Fräulein», und sie liebte es, als Fräulein angesprochen zu werden. Sie war stolz darauf. Genau wie wir Enkelinnen, also meine Schwester und ich, stolz darauf waren, wenn wir dem Grossmami zusehen durften, wie sie im Restaurant bediente. Wir liebten es auch, im Rollenspiel das «Fräulein» zu spielen. Unser Grossmami gab uns jeweils eine ihrer weissen Servierschürzen (mit Spitzen versteht sich), dazu das entsprechende Portemonnaie und natürlich ein versilbertes Serviertablett. Und dann hiess es: «Freulain a Kafi» «Freulain zale» «Freulain, no eis» (die Bierflasche wurde hochgehalten und das Fräulein wusste, was zu tun war), bis hin zu: «Feulein de Mantel» oder «Freulein es Taxi». Fräulein hier und Fräulein da». So war das damals.
Und heute? 95 % der jungen Frauen finden es gar nicht toll, als Fräulein angesprochen zu werden. Auch nicht als das Fräulein im Restaurant. Ich denke an meine Mutter – «man sagt schliesslich auch nicht «Herrlein», würde sie einmal mehr erwidern. Aber was an Stelle von «Fräulein»? «Frau» vielleicht? Klingt ja echt auch komisch. Oder eventuell: «Entschuldigung»? - aber wofür sich entschuldigen, wenn man doch gar nichts falsch gemacht hat, ausser dass man hier ist und einen Wunsch aussprechen möchte? Nein, geht auch nicht. «He sie» das würde ich am liebsten sagen, wenn ich endloslange nicht bemerkt werde. Aber «he sie» ist wirklich grenzwertig unhöflich – also geht gar nicht.
Ich überlege hin und her, welche Anrede denn nun die richtige sein könnte; respektvoll, freundlich und zielführend, denn ich weiss, dass auch unsere Mitarbeiterinnen im Heimeli nicht unbedingt gerne mit «Fräulein» angesprochen werden – zumindest solange man unseren David oder unseren Joshua nicht mit «Herrlein» anspricht. Und plötzlich wird mir bewusst – ich muss mir darüber nun echt keine Gedanken machen. Denn unsere Mitarbeiter sind schliesslich alle angeschrieben; mit ihren Vornamen – und das passt für Sie – wozu gibt es denn Namen? Natürlich, um mit Namen angesprochen zu werden. Meine ganzen Grübeleien über das «Fräulein» waren umsonst.
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