Zweierlei Glück oder der perfekte Gegensatz
06:00 auf leisen Sohlen steige die Treppe runter. Meine Nacht verbrachte ich in der sogenannten «Schnarchkammer», nicht unbedingt, weil ich selber schnarche, sondern weil ich in diesem winzigen Kabäuschen unter dem Dach, in welchem ich nicht mal stehen kann, am besten schlafe. Die Treppenstufen knarren und ich hoffe, keinen unserer Gäste aufzuwecken. Die Situation erinnert mich an früher, als die Kinder noch klein waren – du schleichst durch das Haus, in der Hoffnung keines aufzuwecken, damit du am Morgen noch eine Weile für dich alleine hast. Ein paar ungestörte, ruhige Minuten.
07:00 alles ist immer noch still, grad so, als befände sich das Heimeli im tiefsten Winterschlaf, alle schlafen (vermutlich) noch, keiner bekommt mit, wie sich der Himmel violett zu färben beginnt und einen fantastischen Tag ankündigen. Das einzige Geräusch, welches im Stübli zu hören ist, ist das leise Knistern des Feuers im Kachelofen. Unsere Gäste sollen es schliesslich warm haben beim Zmorga. Ich sitze an meinem Lieblingstisch, geniesse einen Espresso, lese den letzten Beitrag von einem Gast in unserem Hüttenbuch – motivierende Lobesworte, wie schön…
07:20 ich verlasse das noch schlafende Haus, gleich wird jemand von unserm Personal auf den Beinen sein, um das Frühstück vorzubereiten. Ich packe einen Schlitten und sause talwärts. Zum Glück ist die Piste so schnell – schliesslich will ich den 07:49-er Zug nach Arosa erwischen. Auf dem Parkplatz unten tausche ich meinen Schlitten gegen die Skiausrüstung, marschiere Richtung Dorf und nutze die Piste beim Skilift Langwies, um zum Bahnhof zu fahren. Die Bahnhofsuhr zeigt 07:45 an – ausreichend Zeit noch ein Bild mit dem Handy von diesem bezaubernden Morgen zu schiessen. Die Stimmung ist wirklich genial – auch wenn das auf dem Bild, wie so oft, im Nachhinein kaum zu erkennen ist.
07:49 der Zug ist pünktlich da, und schön geheizt. Ich habe einen ganzen Zugwagen für mich alleine, versinke für ein Viertelstündchen in Gedanken.
08:15 zum ersten Mal treffe ich auf Menschen. Ich bin nicht mehr allein unterwegs, aber es sind wenige, die heute Morgen so früh Richtung Weisshorngipfel aufbrechen. Schon bald strahlen die Berge im goldenen Morgenlicht um die Wette, ganz oben, erst mal auf dem Brüggerhorn, komme auch ich in den Genuss der ersten Sonnenstrahlen. Ein Blick ins Tal verrät mir – da unten sind sie im Nebel. Die ersten Schwünge auf einer frischpräparierten Piste sind immer etwas Besonderes. Es ist einfach nur schön.
10:15 ich sitze im Restaurant auf dem Weisshorngipfel, gönne mir eine Tasse Tee und einen frischen Mandelgipfel und freue mich über das Privileg am Montag einfach so mal einen Tag auf der Piste verbringen zu dürfen.
11:40 komisch, wo kommen plötzlich alle diese Leute her, unten an der Hörnlibahn hat sich eine Menschenschlange gebildet, und ich bin mitten drin. Gedrängelt wird zwar nicht, so hat Corona auch positive Nebenwirkungen, aber ein Wohlfühlgefühl ist es nicht. Ich mache mich auf den Weg Richtung Lenzerheide. Ich bin ganz klar nicht mehr alleine unterwegs.
13:30 weit weg vom Heimeli auf dem Stätzerhorn gibt’s auf der Terrasse keinen einzigen freien Platz mehr, aber die Aussicht ist herrlich. Nach einem kurzen Zwischenstopp steige ich in meine Skis und fahre wieder los. Plötzlich sind auch die Pisten übervoll. Skifahrer von links, Skifahrer von rechts, Anstehen am Lift, Warten bei der Bahn… Trotzdem beschliesse ich, nicht ohne einen Zwischenstopp auf dem Rothorn meine «Rückreise» Richtung Heimeli in Angriff zu nehmen.
14:20 auf dem Rothorngipfel stosse ich auf eine Gruppe fernöstlicher Touristen. Eigenartig, wo die wohl herkommen? Ich meine jetzt, da doch das Reisen so schwierig geworden ist? Irgendwie habe ich plötzlich genug von all diesen Menschen um mich herum.
15:10 in der Gondel der Urdenbahn grölen ein paar Jugendliche so ausgelassen, bis sie der Kabinenverantwortliche in die Schranken weist. Irgendwie bin ich froh, wieder auf der Arosa-seite zu sein. Auch wenn die Pisten zwischenzeitlich ziemlich verfahren sind, geniesse ich die Abfahrt Richtung Mittelstation der Weisshornbahn und fahre noch einmal auf den Gipfel.
15:45 die Sonne steht schon tief, die Schatten werden wieder lang, Zeit, heimzukehren. Ich habe endgültig genug vom Rummel, obwohl, wenn ich ehrlich bin, im Verhältnis zu früher darf ich kaum von Rummel sprechen.
16:50 ich sitze im Zug, es geht zurück in die andere Welt, in die Einsamkeit, die Ruhe, in die Abgeschiedenheit, denn an einem Montagabend ist im Heimeli nicht viel los.
17:30 mit dem Quad geht’s zurück Richtung Sapün. Die ersten Sterne funkeln am Himmel, es wird kalt. Ich freue mich auf ein Chriesisteisäckli, einen heissen Tee, ein Fondue, einen Abend im warmen Stübli. Ich bin wieder in der anderen Welt.
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